Loading color scheme

1987/88 Politisierung

Christoph Wonneberger | Gründung neuer Gruppen | Olof-Palme-Marsch 1987 | Berliner Ereignisse | Einbindung der „Antragsteller“

Christoph Wonneberger

Christoph Wonneberger, 1989 | Quelle: ABL / M. JehnichenAuf Anregung von Superintendent Friedrich Magirius übernahm im September 1986 Christoph Wonneberger, Pfarrer in der Leipziger Lukaskirchgemeinde, die Koordination der Friedensgebete. Er sollte die Lücke schließen, die der Weggang von Günter Johannsen im Jahr 1984 gerissen hatte. Wonneberger kam 1985 von Dresden nach Leipzig. In Dresden initiierte er die dortigen Friedensgebete und die Initiative „SoFd“ für einen sozialen Friedensdienst statt Wehrdienst.
Für die staatlichen Stellen bereits ein „rotes Tuch“ war er für die weitere Entwicklung in Leipzig sehr prägend.

 

Quelle: ABL
Am 2. Februar 1987 sollten die Friedensgebete mit neuem Schwung weitergeführt werden. | Quelle: ABL

Wonneberger fand eine Situation vor in der die Friedensgebete kaum eine Ausstrahlung in die Öffentlichkeit hatten und wenig Beachtung seitens der Amtskirche fanden.

AG Friedensdienst in einem Brief an Superintendent Magirius, 1988: „Es gab Zeiten, da haben wir vor 10, 15, 20 Zuhörern gesprochen, es gab Montage, da mussten wir uns erst um die Öffnung der Nordkapelle bemühen, ganz selten war ein Ordinierter zugegen.“

Die Revitalisierung baute auf die engagierten Gruppen. Wonneberger ließ ihnen freie Hand. Er verstand die Friedensgebete auch als inhaltlichen Austausch. Den Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen übertrug er die Mitverantwortung als Veranstalter.

In einem Interview mit dem Berliner Aktivisten Stephan Bickhardt aus dem Jahr 1987 reflektierte Christoph Wonneberger seine provokante Herangehensweise. Damit brüskierte er nicht selten seine Vorgesetzten.

Gründung neuer Gruppen

Wonnebergers Eintritt in die Friedensgebete fiel in eine Zeit der politischen Dynamisierung. In der Sowjetunion wurden Reformen durchgesetzt und in der DDR wartete die Bevölkerung vergeblich auf Veränderungen. Das Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 fokussierte viele Menschen auf die Umweltprobleme vor der eigenen Haustür. Nahezu jeder kannte jemanden, der die DDR verlassen wollte und einen Ausreiseantrag gestellt hatte …
Diese Atmosphäre bewirkte, dass ein Gründungsboom an unabhängigen Gruppen einsetzte, die sich personell oft überschnitten. Die Gruppenszene veränderte sich deutlich. Es traten vermehrt auch kirchenferne Gruppen in Aktion.

Quelle: ABL / Pl 170Zu den neuen Gruppen, die sich in dieser Zeit in Leipzig gegründet hatten, gehörten die „AG Menschenrechte“ (AGM – September 1986), die „Initiativgruppe Leben“ (IGL – Juni 1987) und Ende 1987 der „Arbeitskreis Gerechtigkeit“ (AKG). Sie überschritten die bisherigen kirchlich gebotenen Grenzen der Meinungsäußerung und setzten autonome politische Akzente. Gleichzeitig beteiligte man sich am Aufbau eines DDR-weiten Informationsnetzes.

 

Die Ausdifferenzierung der wenigen aktiven Leute lag an den unterschiedlichen Ansätzen zur Konfliktlösung. Gleichzeitig ist eine Generation junger Menschen herangewachsen, die das Risiko nicht scheuten, kirchliche Räume zu verlassen und stärker aktionsbetont in die Öffentlichkeit zu gehen.

Frank Sellentin: „Wir wollen mehr action.“
Als Besucher kam Frank Sellentin zu den Friedensgebeten in die Nikolaikirche. Hier fand er schnell Anschluss an die Arbeitsgruppe Umweltschutz (AGU). Diese empfand er bald als zu passiv und er gründete mit Freunden die Initiativgruppe Leben (IGL).

Die Gruppen mussten Mitglied im Bezirkssynodalausschuss „Frieden und Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" der Bezirkssynode Leipzig-Ost sein, um eigenständige Friedensgebete abhalten zu können. Dieser gemeinsame Ausschuss der beiden Leipziger Kreissynoden wurde Ende 1986 gebildet. Ihm oblag die Verantwortung für die Friedensgebete. Zum Vorsitzenden wählte man ausgerechnet einen IM der Staatssicherheit. Im Frühjahr 1988 bestand das Gremium aus 10 synodalen Vertretern und 21 Gruppen:

Synodale Vertreter Gruppen
Matthias Berger (IM der Staatssicherheit) Umweltgruppe Connewitz
Sieghard Mühlmann AG Friedensdienst (AGF)
Maria-Gabriele Lucke Initiative Hoffnung Nicaragua (IHN)
Wolfram Herwig Offene Arbeit Mockau
Jugendpfarrer Klaus Kaden Evang. Studentengemeinde
Pfr. Martin Kunze AG Umweltschutz (AGU)
Pfr. Wildried Lippold Frauen für den Frieden
Sup. Friedrich Magirius AG Menschenrechte (AGM)
Helmut Wolff Christliche Friedenskonferenz (CFK)
Pfr. Christoph Wonneberger Friedenskreis Grünau
  Friedenskreis Gohlis
  Lateinamerika-Gruppe
  Initiativgruppe Leben (IGL)
  Aktion Sühnezeichen
  Treff für Haftentlassene
  AK Solidarische Kirche Leipzig (AKSK)
  AK Abgrenzung und Öffnung
  AK Gerechtigkeit und Ökumene
  AG Konziliarer Prozess im Vorschulalter
  AK Gerechtigkeit (AKG)
  AG Wehrdienstfragen

 

Olof-Palme-Marsch 1987

Quelle: ABL

Quelle: ABL / 22.107.02Der im Jahr zuvor ermordete schwedische Ministerpräsident Olof Palme hatte den Großmächten den Vorschlag unterbreitet, in Mitteleuropa einen atomwaffenfreien Korridor zu errichten. Europäische Friedensgruppen nahmen diese Initiative 1987 wieder auf und demonstrierten im September für die Umsetzung dieses Planes. Für die eigene Reputation als „Friedensstaat“ beteiligte sich die DDR daran und die SED lud sogar die Kirchen ein.

 

Erstmals konnten Friedensgruppen aus der Kirche treten und unbehelligt eigene Transparente in der Öffentlichkeit tragen. Dieses Novum machte zunächst Hoffnung für einen Wandel in der alltäglichen Auseinandersetzung mit dem Staat. Möglich wurde dies allerdings nur, weil sich SED-Chef Erich Honecker zur selben Zeit zum Staatsbesuch in der Bundesrepublik befand und keine negative Presse gebrauchen konnte. Wenig später zeigte die SED wieder ihr wahres Gesicht.

Quelle: ABL / Chr. Motzer
Quelle: ABL / Chr. Motzer
Während der abschließenden Kundgebung in Torgau wurde versucht, die non-konformen Forderungen mit den Transparenten der SED zu verdecken.

 

Quelle: ABL / Chr. MotzerPDF Download: Pfarrer Christian Führer: „Pausenlos wurden wir fotografiert und gefilmt.“
In seinem Erinnerungsbericht beschrieb der Pfarrer der Nikolaikirche auch das ungewohnte Gefühl, offen seine Meinung sagen zu können. Auch die „Gegenseite“ zeigte sich verwundert über die plötzlich auftauchenden Forderungen bisher tabuisierter Themen.
Quelle: ABL / 22.107.02

 

Berliner Ereignisse

In den 1980er Jahren etablierte sich eine rechts-nationalistische Tendenz, die als subkulturelle Jugendströmung innerhalb der Fußball-Fan-Szene von allen Seiten vertuscht oder bagatellisiert wurde. Daher reflektierte kaum jemand dieses Milieu als politischen Faktor im Herbst 1989. Im Schutz der Masse äußerten Hooligans am deutlichsten ihre Abneigung gegen die DDR: „Scheiß Staat – Scheiß Bullen!“ In die Provokationen mischten sich immer mehr rechtsextreme und rassistische Parolen. Diese wurden toleriert oder gar unreflektiert unterstützt, richteten sich diese doch scheinbar gegen das SED-Regime.

Quelle: Robert-Havemann-GesellschaftKurz aufgeschreckt wurde die Gesellschaft durch den Überfall von Neonazis auf ein Rockkonzert in der Berliner Zionskirche am 17. Oktober 1987. Unter Rufen wie „Sieg Heil!“ und „Juden raus aus deutschen Kirchen!“ tyrannisierten ca. 30 Rechtsradikale die verbliebenen 300 bis 400 Zuschauer nach Ende des Konzerts. Nur eine kleine Anzahl Entschlossener setzte sich zur Wehr.
Die SED verfolgte die Täter als „Rowdys“. Da ein Teil von ihnen aus Westberlin kam, rechtfertigte die SED die Mauer als Schutzgrenze. Sie ging sogar soweit, eine Nähe zu kirchlichen Friedensgruppen als „Feinde der DDR“ zu suggerieren. Die Reaktion der unabhängigen Gruppen „[…] wirkt ein wenig hilflos angesichts einer rapiden Zunahme des manifesten Neofaschismus und der ohnehin bei der Mehrheit der Bevölkerung vorhandenen latenten Bereitschaft zu faschistoidem Denken (Ausländerhaß, Haß gegen Fremdgruppen, überhaupt Südenbockmagie statt Analyse).“ (Umweltblätter, 1.11.1987)

Für Berlin schätzte die Opposition mehr als 2.000 Nazi-Skins und eine Arbeitsgruppe des DDR-Innenministeriums ordnete Ende der 1980er Jahre landesweit mehr als 15.000 Personen einem direkt neonazistischen Milieu zu. Menschenrechtsgruppen thematisierten das Problem nur marginal, indem sie an Gedenktagen zur Judenverfolgung darauf hinwiesen. Der Nationalsozialismus gehörte auch für sie nicht zur „eigenen“ Geschichte als DDR-Bürger. Die Schuld lag im Westen und eine Diskussion zur Verantwortung der vielen Mitläufer wurde im verordneten Antifaschismus der DDR negiert. „Antifaschistische Ideale“ schienen, selbstverständlicher Teil des Wertekanons zu sein. Kritik an der DDR unter Bezugnahme auf das NS-Regime bildeten daher keinen Widerspruch.

Eintrag im Gästebuch der Nikolaikirche Leipzig, Februar 1988: „Schluß mit diesen Terrorurteilen gegen Andersdenkende, die an die Praxis des Volksgerichtshofes im Naziregime erinnern.“ 
Einzige unmittelbare Gegenreaktion war die Bildung einer unabhängigen Antifa, die ihrerseits auch vom Staat bekämpft wurde und als politischer Akteur im Herbst 1989 eine Rolle spielte.

 

Für eine viel stärkere Aufmerksamkeit und Mobilisierung sorgten zwei dicht aufeinander folgende Ereignisse in Berlin:

Infoveranstaltung und Mahnwache für die Freilassung der Inhaftierten in der Zionskirche | Quelle: Robert-Havemann-GesellschaftIn der Nacht vom 24. zum 25. November 1987 durchsuchte die Staatssicherheit die Räume der Umwelt-Bibliothek im Gemeindehaus der Zionskirche. Ziel war, die Redaktion des illegalen „Grenzfalls“ der „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ beim Drucken auf frischer Tat zu ertappen. Jedoch wurden zu diesem Zeitpunkt die unter dem Dach der Kirche erscheinenden „Umweltblätter“ gedruckt. Die Stasi verhaftete alle anwesenden sieben Personen und beschlagnahmte die Druckmaschinen.
Es folgte eine Welle der Empörung und Solidarität im In- und Ausland. Bis zum 30. November wurden alle Mitarbeiter der Umweltbibliothek wieder entlassen.

Mitglieder Leipziger Basisgruppen nahmen an den Mahnwachen in Berlin teil und brachten ihre gesammelten Erfahrungen mit nach Leipzig. In der Folge sollten die hier eingeübten Praktiken der Solidarität wie Mahnwachen, (tägliche) Infoveranstaltungen oder die Installation eines Kontakttelefons für eine stärkere Mobilisierung und Vernetzung sorgen. Diese Praxis konnte man wenig später auch in Leipzig etablieren:

Herstellung der Transparente am Vorabend der Demonstration, 16.1.1988 | Quelle: Robert-Havemann-GesellschaftDie Liebknecht-Luxemburg-Demonstration am 17. Januar 1988 hatte direkten Einfluss auf die Entwicklung der Leipziger Friedensgebete. Die von Ausreiseantragstellern in Berlin gegründete „AG Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ mischte sich mit eigenen Transparenten in die alljährlich von der SED inszenierte Gedenkveranstaltung. Die Staatssicherheit verhaftete 70 Personen während der Demonstration und 35 weitere bereits nach Verlassen ihrer Wohnungen. An den folgenden Tagen kamen weitere Verhaftungen von Oppositionellen hinzu. Die Stasi holte jetzt nach, was sie bereits im November in der Zionskirche beabsichtigte – die Zerschlagung der Opposition.
Im Ergebnis konnten die Antragsteller ausreisen, Oppositionelle wurden in den Westen abgeschoben.

Chronik der Ereignisse | Quelle: ABL / 1.6.12-13Kontaktgruppe: Friedensgebet in der Nikolaikirche mit ausführlicher Information und Diskussion
DDR-weit wurden Solidaritätsveranstaltungen durchgeführt, Protestschreiben an die Staatsführung verschickt, über weitere Verhaftungen informiert. In Leipzig traf sich in den Räumen der Evangelischen Studentengemeinde eine Kontakt- und Koordinierungsgruppe.

Aus der Erfahrung der Effizienz der Kontaktgruppe, wollten einige Gruppenmitglieder ein „Kommunikationszentrum“ (KOZ) gründen, vergleichbar mit der Umweltbibliothek in Berlin. Doch es fanden sich keine geeigneten Räume. Die Amtskirche verschleppte Zusagen gegenüber den Jugendlichen und es kam bis zum Herbst 1989 zu keinem kontinuierlich arbeitenden Informationszentrum außerhalb der Friedensgebete.

Quelle: ABL / 01.025.016
Quelle: ABL / 01.025.016

Mit der Abschiebewelle der Verhafteten von Berlin sendete die SED die Botschaft ins Land, man komme schneller in den Westen, wenn man das System durch öffentliche Aktionen provoziere. Für die Friedensgebete bedeutete dies einen rasanten Anstieg von Teilnehmern, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten.

14.12.1987 20 Teilnehmer
18.01.1988 25 Teilnehmer
25.01.1988 200 bis 300 Teilnehmer
01.02.1988 700 Teilnehmer
14.03.1988 800 Teilnehmer

Einbindung der „Antragsteller"

Berlin, Bahnhof Friedrichstraße, 1984 | Quelle: ABL / M. Dabdoub
Berlin, Bahnhof Friedrichstraße, 1984 | Quelle: ABL / M. Dabdoub

Die Kirche wurde nun wider Willen zur ersten Adresse für Ausreisewillige. Auch die Gruppen waren nicht darauf vorbereitet, dass plötzlich hunderte Antragsteller zu den Friedensgebeten kamen, gleichwohl manche Gruppe politische Diskussionen immer begrüßt hatten. In anderen Städten kam es zu ähnlichen Konstellationen.

Die Unsicherheit im Umgang mit den „Antragstellern“ ausnutzend setzte die Staatsführung, nicht ganz ohne Erfolg, auf die Spaltung der Kirchen: „Mit den Geschehnissen um und nach dem 17.01.1988 und durch die intensive Gesprächsführung seitens des Staates […] hat sich der Polarisierungs- und Differenzierungsprozeß unter den Geistlichen und Amtsträgern in den letzten Wochen mit besonders hohem Tempo vollzogen.“ (Rat des Bezirkes, Abt. Kirchenfragen, 7.4.1988)
In Leipzig sollten renitente Pfarrer (Barthels, Wonneberger, Führer, Kaden, Turek) durch die Kirchenleitung diszipliniert werden.
Christian Dietrich / Uwe Schwabe (Hrsg.): Freunde und Feinde. Dokumente zu den Friedensgebeten in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989, 1994, Dok. 46, S. 148.

Während in Berlin die Ausreisewilligen weitgehend aus den aktiven Gruppen ausgeschlossen wurden, versuchte man in Leipzig, sie in das Friedensgebet zu integrieren.

Frank Richter: „Wir wussten, dass es Menschen sind, die ein sehr viel höheres Risiko eingehen.“ | Frank Sellentin: „Am Anfang war es ein lebendiger Prozess.“
Die Leipziger Akteure Frank Richter (AG Menschenrechte / AK Gerechtigkeit) und Frank Sellentin (Initiativgruppe Leben) reflektieren den Umgang der kirchlichen Gruppen mit der neuen Entwicklung. Beide Milieus teilten die selbe Erfahrung mit dem System in der DDR und profitierten voneinander.

Berlin, Bahnhof Friedrichstraße, 1989 | Quelle: ABL / A. Wiech
Berlin, Bahnhof Friedrichstraße, 1989 | Quelle: ABL / A. Wiech

Im Anschluss an ein Friedensgebet Anfang Februar 1988 gründete sich der sogenannte „Kadenkreis“. Benannt nach dem Jugendpfarrer Klaus Kaden, in dessen Räumen sich Antragsteller zu Gesprächsabenden versammelten. Ein großes Podium verschaffte Pfarrer Christian Führer den neuen Besuchern der Nikolaikirche. Unter dem Titel „Leben und Bleiben in der DDR“ veranstaltete er am 19.02.1988 einen Gemeindeabend. Ca. 900 Personen nahmen daran teil. Gegen den Willen von Superintendent Magirius bot Führer gleichzeitig an, das Friedensgebet als Kontaktmöglichkeit zu nutzen. Die Diskussion zwischen „Hierbleiben“ und „Ausreisen“ wurde nun das eigentliche Thema, da sich manche Gruppen mit ihrem Anliegen kaum noch Gehör im Friedensgebet verschaffen konnten.

Frauen für den Frieden, Mai 1988:
„Aber Offenheit und Toleranz dürfen keine einseitige Sache sein. Wenn z.B. die Gruppe ‚Hoffnung Nicaragua‘ ein Gebet hält und 90% der Besucher sind deutlich desinteressiert. […] Zur Zeit fällt es uns schwer, ein Gebet zu übernehmen, weil wir die zahlreichen Besucher kaum als Gegenüber empfinden können.“
Quelle: Kontakte - Informationsblatt des Leipziger Jugendpfarramtes, Mai 1988

AG Menschenrechte, Mai 1988:
„Leider reichten am Montag fast beide Hände, um die Leute zu zählen, welche keinen Antrag gestellt hatten. […] Es liegt an uns, das Friedensgebet wieder zum Treff engagierter Nicht-Antragsteller zu machen. Die aktuelle Problematik der Ausreisewilligen darf nicht die Arbeit vorhandener Gruppen ins Abseits drängen.“
Quelle: Kontakte - Informationsblatt des Leipziger Jugendpfarramtes, Mai 1988

AG Friedensdienst Gohlis, 03.06.1988:
„Den meisten Besuchern des Friedensgebetes geht es um Ausreise. Die Kirche solle darauf achten, dass die Friedensgebete nicht zum Rahmenprogramm für diese Personen und das Thema degradiert wird. […] Deshalb sehen wir von der Gestaltung des heutigen Friedensgebetes ab.“
Quelle: ABL / 1.24.13.

Jugendkommission der Christliche Friedenskonferenz, 24.06.1988:
„Das Friedensgebet kann nicht die Funktion einer politischen Veranstaltung haben, die irgendeiner gesellschaftlichen Gruppierung ein Podium für Öffentlichkeit bietet. […] Wenn Stille und Meditation durch Applaus ersetzt wird, ist die Chance der eigenen Veränderung vertan.“
Quelle: Christian Dietrich / Uwe Schwabe (Hrsg.): Freunde und Feinde. Dokumente zu den Friedensgebeten in Leipzig zwischen 1981 und dem 9. Oktober 1989, 1994, Dok. 62, S.176

Friedensgebet, 26.6.1989 | Quelle: BStU<br /> Pfarrer Führer, 26.6.1989: „Ich weiß, dass viele von Ihnen weder das Alte noch das Neue Testament kennen.“
Der Tonausschnitt ist eines der ganz wenigen Aufnahmen aus der Nikolaikirche. Er verdeutlicht, wie die Kirche voller „Antragsteller“ war und wie schwierig es für Christian Führer schien, in einer Kirche voller Nichtchristen zu predigen.

Sehr geehrter Pfarrer Führer... | Quelle: ABL / 1.24.12„Verzeihen Sie uns, aber wir sind so geworden, ohne zu wissen wie.“
Auch die Ausreise-Leute bemerkten den Konflikt. Sie waren aber dankbar, dass das Friedensgebet ihnen die Möglichkeit bot, sich versammeln und organisieren zu können. Es war die Chance, aus der Anonymität und Isolation zu treten. In Briefen und Stellungnahmen baten sie um Verständnis und Unterstützung der Kirche.

Jens Fuge: „Es war ein gespaltener Abschied.“
19-jährig geriet der begeisterte Fußball-Fan 1983 ins Visier der Stasi, als er mit Freunden einen Fan-Club gründete und eine illegale Fanzeitung herausbrachte. Seit 1985 wurde er mit Ausreiseverbot in Form des provisorischen Ausweises „PM 12“ belegt. Daraufhin stellte Jens Fuge einen Ausreiseantrag. Seit 1988 beteiligte er sich an den Friedensgebeten.

An Bedeutung gewann der Nikolaikirchhof als Podium. Nach dem Friedensgebet versammelte man sich in losen Gruppen auf dem Platz und diskutierte weiter. Diese politisierte Menge machten sich manche Gruppen zu Nutze. Zwar teilte man nicht zwangsläufig die gleichen Ziele, aber die Menschenmenge sorgte für Öffentlichkeit und Aufsehen. Aus diesen Ansammlungen entstanden ab Frühjahr 1988 die ersten Demonstrationen in das Stadtzentrum mit Markt und Thomaskirche. Seitdem ist auch die Polizei und Staatssicherheit auf dem Platz präsent. Gerade an Messe-Montagen nutzten die Antragsteller die Anwesenheit westlicher Journalisten, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. So demonstrierten nach dem Friedensgebet vom 14. März 1988 mit ca. 1.000 Teilnehmern im Anschluss etwa 150 Menschen erstmals durch die Innenstadt.

Quelle: ABL

Nikolaikirchhof, Pfarramt, 1987 | Quelle: ABL / M. Dabdoub
Nikolaikirchhof, Pfarramt, 1987 | Quelle: ABL / M. Dabdoub

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige dieser Cookies sind wichtig für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, unsere Website zu verbessern. Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten unserer Seite zur Verfügung stehen.